Jetzt bin ich hier und möchte mich verstecken. Irgendwie bin ich im Laufe meines Lebens immer leiser geworden. Warum weiß ich nicht. Nicht so richtig. Irgendwann war ich jedenfalls aufgeweckter. Ich konnte mich für alles begeistern. Ich war ein spielendes, interessiertes Kind. Eines, das sich neugierig durch seine Umwelt gegraben hat. Vielleicht habe ich auch unbequeme Fragen gestellt. Oder unbequeme Bemerkungen gemacht.
Die Liebe ist in mir, das weiß ich. Irgendwoher weiß ich es. Mein Kopf ist voll von ihr. Ich trau mich nur nicht, den Mund aufzumachen. Eines Tages habe ich angefangen mich zu beschränken, vielleicht um andere zu schonen. Andere, die Angst um mich hatten. Eltern, die sich selbst in sich verkrochen haben.
Es müssen ja nicht immer die Eltern sein. Aber irgendwann muss sich dieser Moment eingeschlichen haben, an dem ich beschlossen habe, ich will nicht sprechen. Das heißt nicht, dass ich gar nichts sage. Aber ich rede einfach immer zu leise, als hätte ich die Lautstärke runter geregelt, um andere von meinen Seltsamkeiten zu verschonen. Kennst Du das?
Leise Stimme mit lauter Liebe?
Aber jetzt bin ich verliebt, verliebt in dieses Mädchen. Sie scheint soweit weg. Obwohl ich mich ihr ganz nah fühle. Sie ist umwerfend. Und genauso ein Freak wie ich. Aber sie hat es sich nicht nehmen lassen, sich so zu zeigen, wie sie wirklich ist. Sie ist cool, aufmüpfig und hat nur schräges Zeug im Kopf. So wie ich auch. Aber ich habe immer Angst, andere damit zu schockieren.
Es muss daran liegen, dass ich das Gefühl habe, oft nicht verstanden zu werden. Was ich denke, ist oft abseitig. Keine Sorge, meine Gedanken sind nicht besonders kriminell, eher ungewöhnlich. Während die anderen mir so durchschnittlich vorkommen. Regelrecht langweilig. Und wenn ich es dann ganz anders sehe, stoße ich auf Unverständnis.
So wurde ich immer leiser. Dann mache ich die Dinge halt mit mir aus. Dann sehe ich die Dinge halt anders, ich muss sie ja Niemandem auf die Nase binden, der mich ohnehin nicht versteht. Ob das nun die eigenen Eltern sind oder die langweiligsten Schulkameraden der Welt. Mein Name ist Winfried. Und ich hasse diesen Namen. Kennst Du das? Wenn Du deinen eigenen Namen nicht ausstehen kannst?
Ich will nicht sprechen
Wie soll ich so zu ihr gehen und sagen: „Hallo ich bin Winfried und ich will dich heiraten!“ Das geht doch gar nicht. Mein Selbstbewusstsein ist im Keller. Im Keller schreibt es sich ganz gut. Das ist der Grund, warum du mich jetzt lesen kannst. Denn ich will nicht sprechen.
Ich will ganz einfach ganz von vorne anfangen. Also werde ich mir einen neuen Namen ausdenken. Ich bau mich um, als würde ich einen völlig neuen Avatar in einem Computerspiel entwerfen. Und der ist dann so cool, wie ich immer war, bevor ich anfing zu schweigen.
Du verstehst mich doch, oder? Es wird Zeit, dass Leute mich verstehen. Verstehen und kennenlernen sollen sie mich, weil ich weiß, dass ich eigentlich echt cool bin. Mein Kopf ist voll von ihr. Und für die Liebe werde ich aufstehen. Ich werde meine Vergangenheit ignorieren. Ich werde mich nur auf dieses Mädchen konzentrieren. Das Mädchen, was ich jetzt anrufe.
Ganz einfach. Ich muss mich nur darauf konzentrieren, tief durchzuatmen und all mein Inneres in diesen Hörer zu tun. Ich weiß, wie gute Liebesgeschichten funktionieren. Ich habe genug von diesen Büchern gelesen. Ein Anruf ist der perfekte Anfang, wir werden später noch unseren Kindern davon erzählen. Aber wie bekomme ich ihre Nummer?
Sprechen oder nicht sprechen – das ist hier die Frage!
Egal was ich auch für ein Freak bin, jetzt habe ich eine Mission und niemand wird mich aufhalten. Ich bin bereit alles zu tun. Für die Liebe erfinde ich mich neu. Ach Quatsch, Kokolores, ich grab mein Herz einfach wieder aus. Es gibt keinen Grund leise zu sein. In mir entflammt sich ein neues Leuchten. Ich spüre den Drang, die unaufhaltsame Sehnsucht, sie zu erobern. Die Liebe, das Leben und die grenzenlose Vielfalt. Ich bin es, der sich viel zu sehr zurückgezogen hat.
Ich mach die Neugier wieder groß. Sie wird mir ihre Nummer geben und wir werden reden.
Da hat sich etwas eingeschlichen, das steht mir nicht, damit will ich nichts mehr zu tun haben. Die Flucht nach vorn fängt gerade erst an.
Mein Kopf ist voll von dir und morgen mach ich die Liebe wieder groß. Und wir werden genügend sein. Ich werd mich sofort aufmachen, ihre Nummer zu bekommen. Ich weiß nur eines, ich will nicht sprechen war gestern.